Viele Leute behaupteten immer, dass Tischtennis keine richtige Sportart sei.
Dass man einfach nur dastehen würde, einen kleinen Schläger in der Hand haltend und den Ball auf der Miniaturform eines Tennisplatzes hin und her schlagen würde.
Es gab Leute die dachten, dass es einfach nur ein Hobby war und die nicht einmal wussten, dass man Tischtennis auch als professionelle Sportart betreiben konnte. Man sah es einfach nur als einen Schulsport an, mehr war es für viele nicht.
Doch niemand bedachte, wie hart es auch beim Tischtennis zugehen konnte.
Die Haltung der Beine war genauso wichtig wie die des Schlägers in der Hand. Machte man es falsch, würde man das Spiel verlieren. Wichtig war, dass man die Knie leicht gebeugt hielt und man sein eigenes Gewicht auf den Fußballen abstützen konnte. Manch einer hatte sich sogar schon eine schlimme Knieverletzung zugezogen und musste dadurch das aktive Tischtennisspiel aufgeben und wenn es erst einmal soweit gekommen war, brauchte man Alternativen.
Einige hatten angefangen diese Sportart zu unterrichten, die meisten davon in Grundschulen oder in einer Jugendliga. Andere hatten den Mut gefasst und schlugen einen komplett neuen Lebensweg ein und spielten Tischtennis nur noch in ihrer Freizeit, denn nur weil man es professionell nicht mehr spielen konnte hieß es nicht, dass man völlig darauf verzichten musste. Sie hatten ganz von vorne begonnen und Fähigkeiten entdeckt, die man bis zum Zeitpunkt der Verletzung nicht wahrgenommen hatte.
Viele hatten sogar angefangen sich sozial zu engagieren und brachten beispielsweise kleinen Kindern in Sportvereinen bei, wie man Tischtennis spielte. Anders als beim professionellen Spielen ging es dort jedoch mehr um den Spaß als um den Sieg.
Es gab auch Sportler, die sich nie Gedanken darum machten, was die Zukunft einem brachte. Manche dachten, dass sie unbesiegbar waren und dass nie etwas passieren würde. Genau diese Art von Sportler war es meistens, die nach einer schwerwiegenden Verletzung in tiefe Depressionen fiel.
Viele betrieben diesen Sport schon seit der Grundschule, darunter auch Ingolf Derkow. Er war damit aufgewachsen und tat in seinem Leben nichts lieber, als den Schläger in die Hand zu nehmen und anfangen zu spielen, doch er gehörte auch zu der realistischen Sorte von Sportlern und hatte schon lange einen alternativen Plan für die Zeit nach seiner Tischtenniskarriere.
Er wollte nicht für den Rest seines Lebens Tischtennis spielen, so sehr er es auch liebte, doch er wollte in seinem Leben auch noch irgendetwas anderes erreichen. Etwas, das außerhalb dieser Sportwelt lag und ihm wäre es lieber, wenn er selber entscheiden konnte, wann dieser Zeitpunkt gekommen war und er den Tischtennisschläger an den Nagel hängen würde.
Nichtsdestotrotz gehörte Ingolf Derkow zu der ehrgeizigen Sorte Mann. Immer dann wenn er den Schläger in seiner Hand hielt und kurz vor einem Spiel seinem Gegner noch einmal in die Augen sah überkam ihn die große Lust zu gewinnen.
Natürlich machte ihm das Spielen am meisten Spaß und für ihn war es immer wieder ein kleiner Triumph, wenn er einen gut gespielten Ball des Gegners abfangen und zurückschlagen konnte, aber ein Sieg war für ihn immer wieder ein neues Hochgefühl.
Nicht immer hatte er so gute Reflexe gehabt und besonders am Anfang wurde er oft besiegt, weil er den Ball nicht schnell genug zurückschlagen konnte. Eine Menge Training und Konzentration waren dafür nötig gewesen um sich diese Fähigkeit anzueignen. Jahre hatte es gedauert, bis es soweit war und er sogar die sehr schnellen Bälle mit Leichtigkeit erwischen konnte. Nicht jeden, schließlich war er nicht Superman, aber dennoch eine Menge.
In den vielen Jahren, in denen Ingolf Derkow schon professioneller Tischtennisspieler war, kam ein kleines Ritual zustande, welches er vor jedem Spiel anwandte. Es war nicht viel, nicht einmal spektakulär, doch es half ihm sich auf das kommende Turnier zu konzentrieren. Schließlich musste man nicht nur körperlich, sondern auch geistig fit sein, wenn man ein Spiel gewinnen wollte – nicht nur beim Tischtennis, sondern auch bei allen anderen Sportarten.
Jedes Mal suchte er sich eine ruhige Ecke, setzte sich hin und nahm den kleinen Stein fest in seine Hände. Diesen hatte er – als er noch ein kleines Kind war und seine Familie Urlaub gemacht hatte – am Strand gefunden. Der Stein hatte sich von den ganzen anderen im Sand so sehr hervorgehoben, dass er ihm sofort aufgefallen war und seine ganze Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte.
Ingolf Derkow hatte das fasziniert. So wollte er auch sein, hatte er sich gedacht. Er wollte sich aus der Menge hervorheben und nicht darin untergehen.
Seitdem hatte er diesen Stein immer als Glücksbringer dabei und holte ihn vor jedem Spiel hervor, hielt ihn so fest er nur konnte an sich und hoffte darauf, dass alles gut ging.
Danach hing es nur noch von ihm und seinem Können ab, ob er das Turnier gewinnen oder verlieren würde.
Für Ingolf Derkow war jedes Spiel anders, doch die Vorbereitung auf ein Spiel verlief fast immer auf dieselbe Art und Weise: Sobald er wusste, gegen wen er antreten würde, suchte er in einem bestimmten Archiv nach alten Spielen, die er sich ansehen konnte.
Kenne deinen Gegner besser als er sich selbst, war stets sein Motto, denn wenn man sich ein paar Spiele angesehen und den kommenden Gegenspieler gründlich studiert hatte, konnte man in etwa ahnen was auf einen zukam und man würde sich besser darauf einstellen können. Das eigene Training könnte man besser darauf abstimmten, doch wenn man es bei jedem Spiel tat, war es ein sehr großer Aufwand.
Früher hatte Ingolf Derkow es immer so gehandhabt. Vor jedem Spiel hatte er versucht jeden seiner Kontrahenten in und auswendig zu kennen. Jeden einzelnen von ihnen wollte er besiegen, doch ihm wurde schnell bewusst, dass es so nicht möglich war.
Er konnte seine Zeit nicht vor jedem Spiel damit verschwenden, dass er sich jedes wichtige Spiel seiner Gegner ansah, schließlich musste er selber auch noch trainieren und das war weit wichtiger als sich die Spiele anzusehen. Doch für Ingolf Derkow war beides von großer Bedeutung. Können und Taktik. Nichts ging ohne das Andere.
Man konnte noch so gut sein, doch ohne eine gewisse Strategie war man verloren. Genau so war es umgekehrt, denn es reichte nicht nur ein guter Stratege zu sein. Ein guter Spieler sollte beides in sich tragen.
Also hatte Ingolf Derkow seine Spielanalysen nur auf die wichtigen Spiele beschränkt, studierte die Spieler dafür jedoch umso genauer.
Er versuchte so viel wie möglich herauszubekommen, nicht nur über die letzten Spiele der Gegner, sondern auch über deren Entwicklung. Ingolf Derkow wollte wissen, wie gut sie tatsächlich waren. Waren ihre Leistungen stets konstant geblieben? Oder stiegen sie sogar bei jedem Spiel an? Übertrafen sie sich jedes Mal selbst? Hatte er eine reelle Chance zu gewinnen? Oder musste er noch härter trainieren?
Manchmal war es jedoch ein Fehler, dass er seine Rivalen so genau zu analysieren versuchte und war damit sogar einmal böse auf die Nase gefallen. Bei der Vorbereitung auf ein Turnier hatte er sich sehr genau mit einem bestimmten Gegenspieler beschäftigt und festgestellt, dass seine Leistung immer schlechter, statt besser wurde.
Die Folge daraus war, dass er sich nicht so gut auf das Spiel vorbereitet hatte, wie es bei jemand anderem der Fall gewesen wäre. Zu sehr hatte er gedacht, dass es ein Kinderspiel für ihn werden würde und er sich keine Gedanken machen brauchte.
Er war fest davon überzeugt, dass er ihn mit links schlagen konnte, doch da hatte er falsch gedacht. In der Annahme, dass Ingolf Derkow ein leichtes Spiel hatte, ging er in dieses Turnier hinein und kam als Verlierer wieder heraus. Zu sehr hatte er sich auf das verlassen, was die Videos ihm gezeigt hatten. Diesen Fehler machte er nie wieder.
Seitdem versuchte er immer noch so viel wie möglich über seine Kontrahenten in Erfahrung zu bringen, trainierte jedoch bei jedem Spiel so hart wie er nur konnte. Nie wieder wollte er sich so sehr blamieren, wie er es einst schon getan hatte.
Von diesem Tag an tat er nie mehr nur das Mindeste, versuchte immer sein Bestes und noch mehr zu geben und hatte dadurch festgestellt, dass dies die beste Taktik war, die er je hätte haben können.