Der Stuttgarter Rechtsanwalt Dr. Marius Breucker ist Experte für Sportrecht und beriet unter anderem das Bundesinnenministerium zur Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland 2006. Im Interview erläutert er die rechtliche Handhabe gegen Hooligans im Vorfeld der Fußball-WM in Brasilien und plädiert er für einen differenzierten Umgang mit möglichen Gewalttätern.
„WM-2014-Brasilien“. Über Wikipedia.
Gelbe und Rote Karten gibt es nicht nur in den Stadien Brasiliens – auch polizeibekannte Hooligans erhalten in den Tagen der Fußball-WM „Verwarnungen“ oder „Platzverweise“ durch die zuständigen Behörden: Wer in der Vergangenheit aufgefallen ist und im Verdacht steht, nicht allein des Fußballsports wegen nach Brasilien reisen zu wollen, wird von den zuständigen Beamten angesprochen. Im Zuge von „Gefährderansprachen“ weisen sie potentielle Gewalttäter darauf hin, dass sie im Visier der Behörden stehen und bei Straftaten in Brasilien auch in Deutschland belangt werden können. Wer sich von einer solchen „Gelben Karte“ nicht beeindrucken lässt, dem drohen weitergehende Maßnahmen – bis hin zu Beschränkungen des Passes und Ausreiseverboten.
SBnet: Hooligans nehmen Länderspiele einer Fußball-WM gerne zum Anlass für Ausschreitungen. Welche Möglichkeiten haben die deutschen Behörden, Randale im Vorfeld zu verhindern?
Dr. Marius Breucker: Sie können die ihnen bekannten, potenziellen Gewalttäter im Vorfeld ansprechen und darauf hinweisen, dass sie auch für im Ausland begangene Straftaten in Deutschland belangt werden können. Diese „Gefährderansprachen“ dienen in erster Linie der Deanonymisierung. Denn die Anonymität in der Masse senkt die Hemmschwelle zur Gewalt erheblich.
SBnet: Und wenn Gespräche nicht fruchten?
Dr. Marius Breucker: Dann besteht die Möglichkeit, für die Zeit der Weltmeisterschaft den Pass so zu beschränken, dass er nicht zu einer Ausreise nach Brasilien berechtigt.
SBnet: Passkontrollen können umgangen werden.
Dr. Marius Breucker: Die Grenzbehörden sind im Vorfeld der WM sensibilisiert und verfügen über die relevanten Daten. Aber selbst wer die Kontrolle passiert, kann sich nicht sicher sein: Eine Ausreise entgegen einer Passbeschränkung ist eine Straftat. Wenn der Betroffene im Ausland angetroffen wird, muss er zwangsläufig ausgereist sein und kann dafür bestraft werden.
SBnet: Können die Delinquenten denn in Brasilien ausfindig gemacht werden?
Dr. Marius Breucker: Auch wenn für die Betroffenen die Gewalt im Vordergrund steht, gehen sie doch zu den Spielen, den Spielstätten oder an verabredete „Drittorte“. Dort sind auch deutsche szenekundige Polizeibeamte im Einsatz, die ihre „Klientel“ kennen. Auch über Fernsehbilder wurden schon Gewalttäter im Ausland identifiziert und konnten dann nach ihrer Rückkehr belangt werden.
SBnet: Was ist, wenn die Betroffenen über ein drittes Land nach Brasilien reisen?
Dr. Marius Breucker: Die Passbeschränkung gilt nicht nur für die direkte Ausreise nach Brasilien. Auch die mittelbare Ausreise über ein Drittland ist untersagt.
SBNet: Und wie erkennt der Grenzbeamte, dass der Betroffene über einen Umweg ans Ziel kommen will?
Dr. Marius Breucker: Es kommt auf den Einzelfall an. Wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen, etwa aufgrund früherer Vorfälle, dass der Betroffene letztlich doch nach Brasilien reisen will, kann ihm auch die Ausreise in einen vermeintlich „unverdächtigen“ Staat verwehrt werden.
SBnet: Und wenn ein polizeibekannter Hooligan tatsächlich mit der Familie in den Urlaub fahren will?
Dr. Marius Breucker: Dann sollte das Urlaubsziel in den nächsten Wochen nicht ausgerechnet in Brasilien liegen… Nein, wer tatsächlich Urlaub machen will, und dies etwa durch entsprechende Buchungen belegen kann, darf natürlich ausreisen. Es ist Ausdruck des Prinzips der Verhältnismäßigkeit, dass die Ausreise nur so weit beschränkt wird, wie es unter Berücksichtigung der Rechte des Betroffenen erforderlich ist. Daher darf die Ausreise nicht generell untersagt werden. Entscheidend ist ja nicht, dass der Betroffene in Deutschland bleibt, sondern dass er nicht vor Ort in Brasilien ist. Bei der Beurteilung des Reiseziels sind Erfahrung und Fingerspitzengefühl der Beamten gefragt. Immerhin wird mit dem Pass das Grundrecht auf freie Ausreise beschränkt. Damit ist gerade in Deutschland sensibel umzugehen.
SBnet: Wer clever ist, kommt trotzdem raus.
Dr. Marius Breucker: Die Behörden haben zusätzlich die Möglichkeit, eine Meldeauflage anzuordnen. Dann muss sich der Betroffene etwa an den Spieltagen der Nationalmannschaft morgens und abends auf einer Polizeidienststelle melden. Und es gibt als ultima ratio, als letzte und härteste Maßnahme, die Möglichkeit, einen potentiellen Gewalttäter, der sich von allen beschriebenen Maßnahmen nicht abhalten lässt, vorbeugend in Gewahrsam zu nehmen.
„Fuleco.2013“ von Tânia Rêgo/ABr – Agência Brasil. Lizenziert unter CC-BY-3.0-br über Wikimedia Commons.
SBnet: Sind solch massive Eingriffe in die Grundrechte zu rechtfertigen?
Dr. Marius Breucker: Es handelt sich in der Tat um schwer wiegende Grundrechtseingriffe. Augenmaß ist gefordert. Die Verfassung erlaubt Grundrechtseingriffe nur auf Grundlage eines Gesetzes und der dort genau definierten Kriterien. Voraussetzung ist immer eine konkrete, auf Fakten basierende Gefahrenprognose. Die Herausforderung ist, zielgenau nur die wenigen zu treffen, bei denen aufgrund massiver oder häufiger Gewalttaten eine konkrete Wiederholungsgefahr besteht. Jede Maßnahme ist zudem gerichtlich voll überprüfbar. Die Rechtsprechung hat hierzu in den letzten Jahren Kriterien entwickelt, an denen sich die Behörden orientieren. Wie so oft im Recht muss man aber auch die andere Seite im Blick haben: Im Raum stehen nicht nur die Grundrechte der potenziellen Gewalttäter, sondern auch die der potenziellen Opfer auf Leben und körperliche Unversehrtheit.
SBnet: Geht es auch um das internationale Ansehen der Nationalmannschaft, die von vielen als Botschafter des Landes gesehen wird?
Dr. Marius Breucker: Die Nationalmannschaft als solche ist, auch wenn sie in Deutschland große Bedeutung hat, kein rechtlich geschütztes Gut. Die Bundesrepublik darf aber in der Tat dem Verlust an Ansehen vorbeugen, der mit massiven Gewalttaten deutscher Hooligans bei Sportgroßereignissen einhergeht. Dies sieht das Passgesetz mit der Formulierung „erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland“ ausdrücklich vor.
SBnet: Kann Brasilien als betroffener Staat von Deutschland entsprechende Maßnahmen verlangen?
Dr. Marius Breucker: Nach dem Völkerrecht ist jeder Staat verpflichtet, die Ausreise ihm bekannter Gewalttäter von seinem Gebiet aus zu verhindern, soweit ihm dies möglich und zumutbar ist. Voraussetzung ist, dass man die Betroffenen kennt und deren Ausreise mit vertretbarem Aufwand verhindern kann. Jeder Staat ist aber gehalten, entsprechende Anstrengungen zu unternehmen. Eine lückenlose Verhinderung der Ausreise aller potentieller Gewalttäter ist aber nicht zu leisten und auch völkerrechtlich nicht geschuldet.
SBnet: Könnte man sich den Aufwand im Vorfeld nicht durch eine starke Polizeipräsenz vor Ort sparen?
Dr. Marius Breucker: Das hat man in der Vergangenheit oft versucht – und oft vergeblich. Die Erfahrung zeigt, dass sich Ausschreitungen auch mit dem besten Einsatzkonzept nicht verhindern lassen, wenn sich erst einmal eine kritische Masse vor Ort versammelt hat.
Weitere Informationen über Dr. Marius Breucker (www.xing.com/profile/Marius_Breucker) und zum Thema Hooligans finden sich unter:
http://www.jurablogs.com/2006/06/07/rote-karte-fuer-hooligans
Lesen Sie hierzu auch das Taschenbuch zum Thema Hooligans:
Transnationale polizeiliche Gewaltprävention – Maßnahmen gegen reisende Hooligans