„Das Gesetz ist der Freund des Schwachen“ – Schillerzitate für Juristen

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Ein kleiner Verlag im kleinen Steinenbronn nahe der kleinen Großstadt Stuttgart verlegt zum kleinen Preis kleine quadratische Bücher, die er auch noch explizit als „kleine Reihe“ bezeichnet. Ein pathologischer Fall übertriebenen schwäbischen Understatements? Oder eine captatio benevolentiae in der Hoffnung auf naheliegende Metaphern wie „Großes in der kleinen Reihe“ oder „klein aber fein“? Jedenfalls versammelt der Verlag in seinen Büchern im quadratischen „Ritter Sport“-Format „schönste Gedichte“ von Rilke bis Morgenstern von Busch bis Ringelnatz, Gedichte zu Blitz und Donner, Herbst und Winter und Aphorismen- und Zitatensammlungen, die auch vor Fußballerweisheiten („Qualität kommt von Quälen“) und vor Helmut Kohl („Die Mehrheit der deutschen Frauen ist weiblich“) nicht zurückschrecken. Mit dem jüngsten Band „Schiller für Juristen“ besetzt der rührige Verlag eine weitere Nische. Wir sprachen mit dem Herausgeber, dem Stuttgarter Anwalt und Schiller-Kenner Marius Breucker:

Frage: Herr Breucker, das wurde aber auch Zeit: Endlich eine Zitate-Sammlung von Schiller!

Marius Breucker: Ja, die Welt hat lange darauf gewartet. Jetzt ist auch diese Lücke geschlossen…!

Frage: Im Ernst: Warum „Schiller für Juristen“?

Marius Breucker: Es gibt Cicero und Goethe „für Juristen“ – warum also nicht auch Schiller? Zumal er sich in seinem Werk intensiv mit Recht und Gerechtigkeit befasst hat.

Frage: Cicero und Goethe haben immerhin Jura studiert.

Marius Breucker: Schiller auch. Zwei Jahre lang auf der herzoglichen Carlsschule.

Frage: Was lief da schief? Angehende schwäbische Geistesgrößen studierten doch Theologie?

Marius Breucker: So wollten es auch die Eltern. Allein der württembergische Herzog Carl Eugen in seiner Gnade und Weisheit ließ den Vater wissen: „Sein Sohn kann sich die Jurisprudenz wählen!“

Frage: Und: – Examen?

Marius Breucker: Leider nein – wobei das nicht gegen Schiller sprechen muss. Das Studium interessierte ihn nur bedingt und nach zwei Jahren wechselte er zur Medizin. Und wurde „Regimentsmedicus“.

Frage: Aber ein bisschen Jura blieb doch hängen?

Marius Breucker: Die an der Carlsschule gelehrte Rechtswissenschaft war dem mittelalterlichen Rechtsdenken verhaftet und hatte sich die Aufklärung erfolgreich vom Leib gehalten. Daran war der junge Friedrich nicht sonderlich interessiert. Er schrieb während des Rechtsunterrichts lieber Gedichte mit Freund Wilhelm Hoven.

Frage: Da war Goethe beim Repetitor erfolgreicher …

Marius Breucker: Ja, Schillers Desinteresse am Jurastudium wird gerne erzählt, wobei er als 15-jähriger wahrscheinlich auch in anderen Fächern gedichtet hätte. Man darf aber unterstellen, dass ihn die zweijährige Begriffs- und Denkschulung durchaus geprägt hat. Immerhin wurde auch römisches Recht mit strenger Dogmatik, Definitionen und Subsumtionsübungen gelehrt.

Frage: Und das fand im Werk seinen Niederschlag?

Marius Breucker: Die rechtlichen Themen im Werk entstammen – soweit bekannt – nicht dem Jurastudium auf der Carlsschule. Zum „Verbrecher aus verlorener Ehre“ inspirierte ihn nicht etwa sein Rechtslehrer Heyd, sondern Philosophie-Lehrer Abel durch die Geschichte des „Sonnenwirts“. Aber Schillers Interesse an Gesellschaft, Staat und Recht und vor allem an den Menschenrechten ist handgreiflich – das gilt für den Sturm-und-Drang-Dichter, etwa in den „Räubern“, bis hin zum reifen Dramatiker etwa in „Wilhelm Tell“ oder „Demetrius“.

 

 Dr. Marius Breucker (Herausgeber) Die Kleine Reihe: Schiller für Juristen: Zitate für und wider Recht und Gerechtigkeit
Dr. Marius Breucker (Herausgeber) Die Kleine Reihe: Schiller für Juristen: Zitate für und wider Recht und Gerechtigkeit

 

Frage: Eine Kostprobe?

Marius Breucker: „Das Gesetz ist der Freund des Schwachen“ heißt es in der „Braut von Messina“. Schöner kann man die Bedeutung von Minderheitenrechten und den Schutz des Einzelnen durch das Recht nicht formulieren. Der Reiz liegt aber auch in alltäglich-heiteren Formulierungen, wie dem viel zitierten: „Ich hab hier bloß ein Amt und keine Meinung“, woran mancher bei einem Behördengang schon gedacht haben mag.

Frage: Wo finden sich die rechtlichen Themen bei Schiller?

Marius Breucker: Natürlich in den Dramen als Schillers bevorzugtes Genre. Schon in den „Räubern“ thematisiert er Gesetzesbruch und Legitimation des herrschenden Rechtssystems. In „Maria Stuart“ geht es um die juristischen Voraussetzungen eines Thronanspruchs und detailliert um Anklage, Gerichtsverfahren und Verurteilung einer Angeklagten, die unter Umständen Immunität genießt. Aber auch jenseits der Dramen befasste sich Schiller mit dem Recht. Man denke nur an Aufbau und Diktion der Mannheimer Rede „Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken?“. Darin weist Schiller dem Theater die Rolle eines moralischen, aber auch eines juristischen Richters nicht zuletzt über die Klasse der Herrschenden zu.

Frage: Wie tief dringt Schiller in die Materie des Rechts?

Marius Breucker: In der Erzählung „Verbrecher aus verlorener Ehre“ behandelt Schiller mit profunder Rechts- und Menschenkenntnis und ganz in der distanzierten Sprache eines Untersuchungsrichters die psychologischen und soziologischen Ursachen von Verbrechen. Er nimmt damit – soweit ersichtlich als erster Literat seiner Zeit – die im 20. Jahrhundert formulierten wissenschaftlichen Ansätze des „Etikettierungsansatzes“ vorweg, wonach ein Delinquent durch Stigmatisierung und Ausschluss aus der Gesellschaft erst recht ins Außenseitertum und zu weiteren Gesetzesbrüchen gedrängt wird. Der Gedanke der Tat- und Schuldangemessenheit von Strafe und die Bedeutung der Resozialisierung waren damals – als noch ganz der Sühne- und Vergeltungscharakter dominierte – strafrechtlich revolutionär. Schillers damalige Analyse ist im Grunde bis heute gültig.

Frage: Schiller gilt doch als Freiheitsdichter, nicht als Dichter des Rechts?

Marius Breucker: Ja, die Freiheit des Einzelnen steht bei Schiller im Vordergrund. Und diese Freiheit sieht Schiller nur in einem rechtssicheren Raum gewährleistet, der frei von Drangsal und Despotismus ist. Wo Willkür herrscht, hat der einzelne – wie etwa „Wilhelm Tell“ – ein Widerstandsrecht aus allgemeingültigen, ewigen Rechtsgrundsätzen. Das folgert Schiller aus den unveräußerlichen Menschenrechten, darunter die Freiheit und Würde des Einzelnen.

Frage: Also Themen, die uns heute noch beschäftigen?

Marius Breucker: In der Tat. Schiller arbeitete in seiner Jenaer Vorlesung „Die Gesetzgebung des Lykurgus und Solon“ die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Demokratieformen auf und verglich direkte und repräsentative Demokratie. Eine ähnliche Diskussion führen wir heute, wenn es um die Frage von Plebisziten und Parlamentsentscheidungen geht. Wiederum ging Schiller auf sein zentrales Anliegen der Freiheit und Würde des Einzelnen ein, indem er die athenischen Gesetze des Solon den allein der Staatsraison verpflichteten spartanischen Gesetzen des Lykurgus vorzog.

Frage: Schiller als Wegbereiter des heutigen Rechts?

Marius Breucker: Wir wollen es nicht übertreiben. Aber wenige Literaten im 18. Jahrhundert beschäftigten sich so intensiv und innovativ mit Recht und Gesetzmäßigkeit als Schutz gegen Willkür und Voraussetzung für Freiheit. Wir finden bei Schiller vieles, was heute im Grundgesetz steht und unsere tägliche Rechtspraxis prägt.

Frage: Also Schiller als Pflichtlektüre für Juristen?

Marius Breucker: Pflichtlektüre für Juristen sind Gesetzestexte und Lehrbücher. Schiller ist lohnende Lustlektüre – nicht nur für Juristen! Probieren Sie` s mal.

 

 

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Friedrich Schiller by Ludovike Simanowiz“ von Ludovike Simanowiz – Neue Deutsche Biographie, hrsg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften durch Hans Günter Hockerts, redigiert von Franz Menges, Bernhard Ebneth, Stefan Jordan, Claus Priesner, Maria Schimke und Regine Sonntag, 22. Band: Rohmer-Schinkel, mit ADB & NDB-Gesamtregister auf CD-ROM, zweite Ausgabe; Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2005, XVI und 816 S., ISBN 3 428 11203-2 bzw. 3 428 11291-1
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Christine Sarakinis Schriftstellerinnen und Dichterinnen im Russland des 19. Jahrhunderts Kapitel 3. Schriftstellerinnen und Dichterinnen bis zur Jahrhundertmitte

Kapitel 3. Schriftstellerinnen und Dichterinnen bis zur Jahrhundertmitte

Schon zuvor hatte es einzelne Texte von schreibenden Frauen gegeben, ab 1780 jedoch begann sich C. Kelly zufolge eine regelrechte Tradition von Schriftstellerinnen herauszu bilden. F. Göpfert sieht einen Anstieg von Frauenliteratur bereits ab Mitte des 18. Jahrhunderts. Er hält hierbei gerade die Art der an den Instituten vermittelten humanistischen Bildung für die Voraussetzung, dass Frauen ihre literarischen Tätigkeiten überhaupt aufnehmen konnten. 15

 

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war in Russland durch die verbesserten Bildungsmöglichkeiten im 18. Jahrhundert auch für die Mittelschicht ein neues Leserpotential entstanden. Literatur wurde nun zu einer Handelsware mit Angebot und Nachfrage, und der Zugriff zum Buch demonstrierte die Gesellschaftsfähigkeit. Dies stellte die russische Leserschaft vor das Problem der verfügbaren Literatur: Es gab keine eigenständige russische Literatur in dem Maße, wie plötzlich die Nachfrage danach erforderlich machte. 16

 

Der wesentliche Grund dafür lag in dem Status des Dichterberufes: Er begann sich als öffentliche Institution gerade erst zu entwickeln und war mit massiven Vorurteilen belastet. Im Hochadel galt es als unter der Würde, sich als Schriftsteller in der Öffentlichkeit darzustellen. Dichter und Schriftsteller aus weniger begüterten Schichten wiederum konnten mit der Literatur nicht ihren Lebensunterhalt verdienen. 17

Dies erklärt sicher auch die Tatsache, dass schreibende Frauen vor allem aus dem ländlichen und niederen Adel hervorgingen, nicht aus dem Hochadel. Sie hatten eine gewisse Bildung und eine privilegierte Position, die ihnen den finanziellen Rückhalt bot, waren aber nicht so stark im Standesdenken gefangen wie die Frauen aus dem Hochadel. Außer als Schöpferinnen eigener Dichtkunst und Prosa, fanden sie ein weiteres Tätigkeitsfeld in der Übersetzung, da auch der Bedarf an Übersetzungen westeuropäischer Literaturen zugenommen hatte. So wurde ein großer Teil der in Zeitschriften erscheinenden ausländischen Literatur von Frauen übersetzt. 18

Gegenüber dem 18. Jahrhundert verbesserte sich bis etwa 1826 langsam die öffentliche Situation schreibender Frauen. Sie fanden Anerkennung in der literarischen Öffentlichkeit und konnten sich
zunehmend unabhängiger von ihrem gesellschaftlichen Stand auch öffentlich bewegen. 19

Zur Entwicklung der schriftstellerischen Tätigkeit von Frauen stellt C. Kelly stellt zwei Hypothesen gegenüber: Nach der ersten Hypothese sei der langsame, aber stetige Prozess der Befreiung der Frauen von ihrer rechtlichen, gesellschaftlichen und familiären Diskriminierung einhergegangen mit einer langsamen aber ständigen Verbesserung ihrer schriftstellerischen Leistungen, die ab den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts beträchtlich an Stärke und Selbstvertrauen gewonnen hätten. 20

Die zweite Hypothese ignoriert die Beweiskraft von Frauenliteratur für oder gegen einen Fortschritt der Frauenemanzipation. Ihrer Aussage nach hätten Frauen nur in der Puschkin- Ära, im sogenannten „Goldenen Zeitalter“ der Literatur ernsthaft geschrieben und wären davon inspiriert gewesen.

Kelly betont aber, dass wenngleich die Frauenliteratur in den 30er und 40er Jahren Teil einer literarischen Tradition, die von Puschkin und anderen Schriftstellern geprägt worden war, gewesen sei, ihr doch insgesamt keine marginale Rolle zukomme. Obwohl sie sich mit den Arbeiten ihrer männlichen Kollegen beschäftigt hätten, hätten die Arbeiten der Frauen ihre eigene inhärente Logik besessen. 21

 

18 C. Kelly, S. 20, S. 23 und B. Alpern Engel, S. 19.
19 F. Göpfert, S. 25-27.
20 C. Kelly, S. 21f.
21 Ebd., S. 23.

3.1 Themen der Frauenliteratur

Bevor im nächsten Kapitel an einzelnen Beispielen die Entwicklung der von Frauen geschriebene Literatur bis zur Jahrhundertmitte aufgezeigt werden soll, wird hier der Versuch unternommen, einen kurzen Überblick über die Themen der Schriftstellerinnen und Dichterinnen in diesem Zeitraum zu geben.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die Literatur der Dichterinnen und Schriftstellerinnen nicht auf das eigene Geschlecht gerichtet. Sie waren an den kanonisierten Literaturformen orientiert, die Gegenwartsprobleme nicht thematisierten. 22

Männliche Autoren waren in ihren Themen und Zielsetzungen frei. Von Frauen, die sich der Schriftstellerei zuwandten, wurde erwartet, dass sie als Frauen im Sinne der „moralischen Verfeinerung der Nation“ schrieben. 23

Viele Themen der Frauen bis zum Ende der 20er Jahre des 19. Jahrhunderts bezogen sich auf klassische Kunstideale und standen damit immer mehr abgegrenzt einer Literatur gegenüber, die sich mit Gesellschaftsutopien auseinandersetzte. Sie bezogen ihre Gefühle und Gedanken vor allem aus der Kunst und erreichten in ihrer Ausdruckskraft ein anerkannt hohes Niveau, blieben aber im Umgang mit der Realität stark in ihrer eigenen, engen Lebenswelt verhaftet. 24

In den 30er und 40er Jahren des 19. Jahrhunderts war ein verbreitetes Thema der Frauenliteratur der Widerspruch zwischen Liebe und Vernunftehe. Noch immer war es ein gängiger Brauch im russischen Adel, die Töchter mit einem Mann ihres Ranges zu verheiraten.

Auch wenn sie nach den Russischen Gesetzen offiziell nicht in eine Ehe gezwungen werden durften, so widersetzten sich nur wenige dem Wunsch ihrer Eltern meist kannten sie diesen Code der Gesetze gar nicht. Viele unglückliche Ehen waren die Folge, unter denen die Frauen litten, ohne den Ausweg einer Scheidung hätten nehmen zu können. Scheidung war so gut wie unmöglich. Umso wichtiger war dieses Thema für die Frauen. 25

Mit dem Ende der 40er Jahre des 19. Jahrhunderts an begannen einzelne Frauen, sich einer sozialkritischen Literatur zuzuwenden und die Lage der Frau in der russischen Gesellschaft in ihren Schriften zu thematisieren.
Sie standen damit im Kreuzfeuer eines politischen Kontextes, der zu dieser Zeit die russische Literatur erfasste und Bewegungen und Gegenbewegungen auslöste. 26

Die Mehrzahl der schreibenden Frauen fühlte sich jedoch noch stark den Traditionen verpflichtet und thematisierte deshalb in ihren Werken, was Frauen seit Jahrzehnten thematisierten: ihre Unfreiheit einerseits und ihr elementares Bedürfnis nach Liebe, Zuneigung und einer gleichberechtigten Ehe andererseits. 27

22 F. Göpfert, S. 47.
23 B. Alpern Engel, S. 19.
24 F. Göpfert, S. 67f., S. 103.
25 R. Stites, S. 6 und F. Göpfert, S. 68 und B. Alpern Engel, S.21 und 34.
26 F. Göpfert, S. 107f.
27 C. Kelly, S. 22 und F. Göpfert, S. 109.

 

Ein weiteres Kapitel finden Sie hier:

Christine Sarakinis: Schriftstellerinnen und Dichterinnen im Russland des 19. Jahrhunderts Kapitel 2. Die Entwicklung bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts

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